Ein neues Turnier beginnt, ein neues Land, neue Menschen gibt es kennenzulernen. Doch bevor wir den Blick nach vorne richten gilt es mit etwas Abstand von vier Jahren noch einmal die Erlebnisse der letzten EM in Polen und der Ukraine aufzufrischen. Wie viele Warnungen wurden im Vorfeld der EM 2012 gestreut. Ob es um die Hooligans, Deutschland-Hasser, korrupte Polizisten, nicht existierende Straßen und unfertige Arenen oder um Tschernobyl verseuchte Pilze ging. Kein Klischee wurde ausgelassen und auch in den Medien war die Tendenz der Berichterstattung größtenteils negativ und auf Probleme gerichtet. Einigen Kommentaren zufolge hätte man meinen können, dass die EM in Somalia stattfinden würde. Die Vorstellungen über die Zustände in den Ländern, natürlich auch unsere eigenen, entsprachen nicht im geringsten der Realität. Eine kleine Reise in die Vergangenheit.
Anreise und Einrichten der Basisstation in Lemberg
Unsere Reise begann früh morgens am Tag vor dem ersten Deutschland-Spiel gegen Portugal. Nach 12 Stunden erreichten wir Lemberg in der Westukraine. Lviv, wie es auf ukrainisch heißt, war dann auch unsere “Basistation”. Dort fanden mit den Begegnungen gegen Portugal und Dänemark gleich zwei Spiele der Deutschen statt. Lemberg war die erste große Überraschung. Eine wunderschöne und sehr große Altstadt die mit schicken Kaffeehäusern stark an Wien erinnerte. Nach unserer Ankunft holten uns drei Autos mit Facebook-Bekanntschaften ab, und brachten uns in die privaten Unterkünfte. Alles verlief sehr herzlich und angenehm und in der Stadt war schon mächtig Betrieb auf und rund um die Fanmeile. Die Tage in Lemberg waren sehr schön, die Spiele und das Stadion waren klasse und unsere ukrainischen Bekannten, die wir mit ins Stadion nahmen, erfreuten sich an der tollen Atmosphäre im deutschen Block. Wir machten wirklich gute Stimmung im Stadion und Abends rockten wir die City. Unser Motto dabei lautete “Völkerverständigung”. Friedlich feierten wir mit ukrainischen, deutschen, dänischen oder portugiesischen Fans. Ausschreitungen Fehlanzeige.
Rückblickend das Highlight des Turniers: Holland vs. Deutschland in Charkiw
In der Westukraine in Lemberg sagte man uns, dass wir nicht nach Charkiw fahren sollten. Viel zu gefährlich sei die Situation dort im russisch geprägten Osten mit Polizeiwillkür, Verhaftungen, Mafiabanden und anderen Kriminellen. Wir glaubten den Humbug nicht, aber viele Deutsche Fans die wir trafen fuhren nicht in den Osten der Ukraine. Die Begleitumstände waren allerdings auch sehr schlecht. 1000 km liegen zwischen Lemberg im Westen und Charkiw im Osten der Ukraine. Ein Teil der Gruppe fuhr mit dem Wohnmobil, der Rest plante die Anreise mit dem eigens für die EM gebauten Schnellzug. Sonntagabend, ganze drei Tage vor Anpfiff des Gruppenspiel-Krachers Holland vs. Deutschland wurde uns am “Servicecenter” des Lemberger Bahnhofs erklärt, dass es keine Möglichkeit mehr gibt, mit dem Zug nach Charkiw zu kommen. Die einzige Verbindung für die es noch Karten gab, würde frühestens Donnerstag den Spielort erreichen.
Nach einem kurzen schütteln und einer Phase der Resignation fuhren die Köpfe langsam hoch, Bus checken, Auto mieten, Flug buchen, Taxi fahren. Alles Optionen die aber alle flach fielen. Unser ukrainischer Kumpel hatte ein Reisebüro. Er besorgte unserer Crew einen Minibus für 20 Personen. Am Tag vor dem Spiel Abends ging es los. Der Fahrer Stephan brummte 16 Stunden durch bis Charkiw, konnte während wir uns tagsüber in der Stadt aufhielten in der Bullenhitze nicht schlafen, schaute dann das Spiel im Fernsehen und fuhr uns anschließend wieder 16 Stunden zurück. Lenk- und Ruhezeiten sind auch total überbewertet.
Sportlich gesehen lief es mit dem 2 zu 0 perfekt. Im Stadion dominierte die kleine deutsche Minderheit gesanglich, obwohl Charkiw sowas wie die Homebase der Holländer war. Die ganze Stadt war Oranje und vor dem Spiel traf man auf nicht allzu viele Deutsche Fans. Im Stadion waren dann zu unserer Überraschung doch ein paar Tausend anwesend und wuchsen über sich hinaus. In Erinnerung bleibt auch die Busausfahrt der Holländer aus dem Stadion – wir grüßten freundlich mit „Auf Wiedersehen“ und zeigten den Holländern freundlicherweise noch, wie man sich am besten fortbewegt. “So gehn die Holländer…”. Es menschelte aber auch in der Ostukraine. Wir haben friedlich mit allen Holländern deren frühe Heimreise gefeiert (es scheint fast, sie waren uns dankbar dafür). Aber vor allem die “Eingeborenen” in Charkiw waren unglaublich zutrauliche Gestalten. Wir waren rund fünf Stunden vor Anpfiff direkt vor dem Stadion, mussten uns aber am Ende bemühen rechtzeitig zur Nationalhymne drin zu sein. Jeder Deutsche musste für hunderte Fotowünsche Modell stehen. Man gab uns Babys in den Arm, Kinder an die Hand, Ehefrauen in unsere Mitte und Opas auf unsere Schultern. Alles wurde von unzähligen Kameras festgehalten. Selbst die Ordner im Stadion hatten nur Fotos mit uns Deutschen im Sinn.
Ausgeträumt in Warschau: Ballotelli und der Italienfluch
Nachdem die deutsche Mannschaft die Gruppenphase in der Ukraine positiv hinter sich gebracht hatten gings zum Viertelfinale nach Danzig. Mit dem Zug von Lwiw zunächst nach Krakau – ein Sightseeing Tag. Anschließend erreichten wir Danzig, wo die Wohnmobil-Crew samt Bierzapfanlage schon bereitstand. Ein sehr lustiger Abend und ein sicherer 4:2 Sieg gegen Griechenland rundete die erste Phase der Reise ab. Wir trafen lustige Leute in einer kleinen Eck-Kneipe und hatten dort einen tollen Abend. Nach meinem persönlichen Empfinden waren wir in Polen nicht mehr ganz so exotisch und die Leute dementsprechend etwas reservierter uns gegenüber im Vergleich zu den Ukrainern. Da half auch mein Eisbrechner-Satz “Jestem trenerem Delfinuf” nichts, mit dem ich mich als Delfintrainer outete. Und dann ging es nach Warschau!
Wir waren extrem positiv gestimmt dass es diesmal gegen die Italiener klappt. Das Ergebnis (1:2) ist bekannt und wird wohl auf Ewig mit der Mucki-Pose von Balotelli in Verbindung stehen. Außerdem war die Stimmung im deutschen Block recht agressiv. Immer das alte Spiel. Steher gegen Sitzer. Wir waren die Steher und hatten irgendwann den ganzen Block gegen uns. Die Stimmung in Polen war insgesamt schon deutlich aggressiver, auch was das Aufgebot aus unserem Land betraf. Da konnte man schon deutlich sehen welche politische Gesinnung der ein oder andere hatte. Meine Theorie. Je schwieriger und ferner die Anreise, desto angenehmer die Typen. Nach einem gemeinsamen Frühstück auf dem Campingplatz und einer kurzen Spielanalyse die hauptsächlich mit „hätte doch der Reus…“ und „wenn der Klose doch…“ im Konjunktiv geführt wurde, trennte sich die Eurocamper-Fraktion endgültig für dieses Turnier. Eine Sechs-Mann starke Besatzung machte sich mit dem Wohnmobil auf Einladung unserer freundlichen Camping-Nachbarn auf den Weg nach Dresden zu einem letzten Zwischenstopp. Eine kleinere Delegation bestehend aus zwei Mann machte sich auf den Weg nach Kiew zum Endspiel der EM 2012. Welche Route und welche Verkehrsmittel waren bis dato noch unbekannt.
Finale in Kiew: Ein Konzert der Toten Hosen
Natürlich hatten wir im Voraus keine Zugtickets reserviert oder gar gekauft, sodass wir völlig offen über die weitere Route im Warschauer Hauptbahnhof „Centralna“ am Ticketschalter standen. Nach anderthalb Stunden in der Schlange stellte sich heraus, dass der schnellste Weg von Warschau nach Kiew nicht Richtung Osten, sondern gen Westen über Berlin und Dortmund führt. Außerdem waren an diesem Tag sowieso alle Züge nach Kiew ausgebucht, sodass wir uns für die Berlin-Route entschieden. Eigentlich war dieser Zug ebenfalls ausgebucht doch wir hatten Glück, dass dem Berlin-Warzsawa Express noch ein zusätzlicher Waggon angehängt wurde – so kamen wir an diesem Abend zumindest noch nach Berlin, von wo wir uns dann am darauffolgenden Morgen um 8 mit dem Zug nach Dortmund und schließlich mit dem Flieger nach Kiew aufmachen sollten.
EM-Finale im Olympiastadion zu Kiew: “Ja sind denn die Italiener die Blauen oder die Roten?” Kiew war eine coole und interessante Stadt aber zum Finale gibt´s nur ein Statement von mir: Das Spiel und seine Zuschauer hätten nicht langweiliger sein können! Unsere Tickets waren wohl im Familienblock und beim Einlaufen der Mannschaften fragte mich meine Nachbarin, offensichtlich eine Fußballfachfrau auf Drogen, ob die Italiener die Blauen oder die Roten seien. Wir zögerten keine Sekunde und ergriffen die Flucht zum Bierstand um uns alkoholarmen Gerstensaft zu ordern. Und, wie so oft bei dieser Tour, fiel das 1 zu 0 für Spanien beim Blick auf den Zapfhahn anstatt aufs Spielfeld. Naja – es sollten ja noch einige Tore fallen. Mit Bier ausgestattet versuchten wir einen Platz im Oberrang zu ergattern. Kontrollen gab es netterweise überhaupt nicht und so konnten wir uns einen Platz mit perfekter Sicht auf alle drei weiteren Tore der Spanier aussuchen. Diese beeindruckten durch ihr super Kombinationsspiel, die Ballsicherheit und die blitzartigen Pässe in die Spitze und gewannen Hochverdient den Titel.
Die eingangs beschriebene Sitznachbarin war ein Spiegelbild für das ganze desinteressierte Final-Publikum, einem Flickenteppich aus vielen Ländern die wenig involviert waren – schlimmer, selbst Italiener und Spanier, sofern anwesend, brachten gesangstechnisch nicht viel auf die Kette. Geschätzte 4.000 bis 5.000 Spanier waren im Stadion und sorgten für etwas Stimmung. Die Italiener waren maximal mit 3.000 Leuten vor Ort in ihrem sehr lückenhaft gefüllten Sektor, wurden aber dafür vom Großteil der Stadionbesucher unterstützt. Nach dem Spiel war auf den Straßen am Stadion zwar viel Betrieb, aber Feierstimmung nach einem Titelgewinn sieht definitiv anders aus.
Achso. Und da es ja jetzt zur EM nach Frankreich geht, fasse ich meine Vorstellung mal so zusammen. Ich freue mich auf vier Wochen Froschschenkel-Fressen mit der finalen Krönung durch den EM-Sieg. Auf dass wir als Froschkönige ins Land der Bier-Vernichter und Lenker heimkehren.